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Montag, 23. Mai 2022

"24. Februar und der Himmel war nicht mehr blau" von Valeria Shashenok @VALERISSSH




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  • Things that just make sense in a bomb shelter
  • story.one
  • Hardcover
  • Seitenzahl: 83
  • Erscheinungstermin: 16. Mai 2022
  • ISBN-13: 9783903715226
  • 16,00 Euro


Klappentext: 
50 Mio. TikTok Views: die wahre Geschichte

"Als Russland mein Land, die Ukraine, überfiel, flüchteten meine Eltern, mein Hund und ich in einen mir mehr als skurril erscheinenden Bombenschutzkeller. Und weil es dort WLAN gab und die Tage verdammt lange und auch langweilig waren, postete ich Videos, die mein neues Zuhause vorstellen sollten - manche davon gingen dann sogar um die Welt.

Aber meine Geschichte ist eigentlich eine ganz andere: Es ist die eines jungen Mädchens voll mit großen Träumen, das die Welt entdecken wollte und den Krieg für einen schlechten Scherz hielt. Bis zu dem Tag, an dem ich erkennen musste, dass ich mittendrin bin im größten Alptraum meines Lebens."

Valeria beschließt, der Welt ihre Heimatstadt Tschernihiw zu zeigen und die wahren Geschichten zu erzählen. Es sind Bilder und Geschichten, die wir uns alle im 21. Jahrhundert mitten in Europa nicht vorstellen konnten und wollten. Und das Grauen endet nicht einmal mit ihrer Flucht nach Mailand, denn dort angekommen, holen Putins Bomben sie ein und treffen sie mitten ins Herz.
(Quelle: story.one)


Fazit:
23.02.2022: 20 Jahre jung, ein Leben in der Großstadt, Träume deren Erfüllung zum Greifen nahe ist, Freunde, Reisen, Social Media, pulsierendes Leben.

24.02.2022: 20 Jahre jung, versteckt im Bombenschutzkeller, Tod vor Augen, Tod und Zerstörung rundherum, Social Media

Ein Tag der alles veränderte und die Welt von Valeria Shashenok, die aus sonnenblumengelben Feldern gekrönt mit blauen Himmel bestand, in eine Welt voller Zerstörung, Unsicherheit und Tod transformierte.
Valeria Shashenok erzählt in "24. Februar ..." wie der Krieg sie überraschte, wie ein einzelner Mann ihre Welt veränderte und wie sie versucht mit diesen neuen Bedingungen zu leben.
Das Buch hat fast den Charakter eines Tagebuches und baut stellenweise eine unglaubliche Nähe zur Autorin auf, so nah, dass man förmlich ihre "Map of Dreams" vor Augen hat und die köstlichen Gerichte ihrer Mutter riechen kann.
So nah, dass der Schmerz über den Tod ihres Cousins in der eigenen Seele brennt ...






Valeria ist eine junge, moderne Frau die binnen Stunden aus der bunten Welt der sozialen Medien in den archaischen Zustand eines Angriffskrieges katapultiert wurde und in "24. Februar ...." ihr neues Leben in Form kurzer Kapitel über ihren Alltag und ihre Gedanken/Gefühlswelt beschreibt.
Die Kapitel sind wirklich sehr kurz, manchmal springen ihre Gedanken zusammenhangslos, um dann drei Sätze weiter doch einen Zusammenhang zu präsentieren.
Das verstärkt den Eindruck eines Tagebuches, das die Gedanken und Gefühle des Augenblicks einfängt und nicht das Ziel hat irgendwann chronologische korrekte Prosa zu werden.

Das Buch gewährt einen kleinen Blick in die ukrainische Seele, in das Bangen und Hoffen, in Wünsche und Sehnsüchte einer jungen ukrainischen Frau, die nun entwurzelt um das Überleben ihrer Familie, ihrer Freunde und ihres Volkes fürchtet.

Und doch ist das Buch nicht den Menschen in der Ukraine gewidmet, das Buch ist dem russischen Volk gewidmet, dass zum großen Teil noch an eine "Spezialoperation" glaubt und nicht wahrhaben möchte dass ihre Söhne brutale Gewalt und unendlichen Schrecken über die Menschen in der Ukraine bringen.

Dieses kurze und sehr eindringliche Buch gibt den unpersönlichen Bildern aus den Nachrichten eine Stimme und ein Gesicht und vor allem, es verleiht dem Schrecken des Krieges authentische Gefühle eines echten Menschen .... Gefühle die wir innerhalb der emotionslosen Berichterstattung allzuoft verlieren.





                                                  (Graffiti von 3Steps am Bahnhof Gießen)
 

Vielen Dank an Literaturtest für dieses sehr berührende Rezensionsexemplar

Montag, 3. Mai 2021

"Hauskonzert" von Igor Levit und Florian Zinnecker


 


  • Hanser Verlag
  • Hardcover
  • Seitenzahl: 299
  • Erscheinungstermin: 12. April 2021
  • Deutsch
  • ISBN: 9783446269606
  • 24,00 Euro


Klappentext:
Igor Levit begeistert in der Elbphilharmonie wie auf Twitter. Das erste Buch "eines der wichtigsten Künstler seiner Generation ... der Pianist des Widerstands." New York Times

Igor Levit gehört zu den besten Pianisten seiner Generation. Doch sein Wirken geht weit über die Musik hinaus: Er erhebt seine Stimme gegen Rassismus, Antisemitismus und jede Art von Menschenhass. Er engagiert sich für den Klimaschutz und tritt für die Demokratie ein. Was treibt ihn an? Woher rührt seine Energie? Der Journalist Florian Zinnecker begleitet Igor Levit durch die Konzertsaison 2019/20. Gemeinsam erleben sie eine Zeit der Extreme. Es ist das Jahr, in dem Levit öffentlich Partei gegen Hass im Netz ergreift und dafür Morddrohungen erhält. Das Jahr, in dem er für Hunderttausende Hauskonzerte auf Twitter spielt. Und das Jahr, in dem er zu sich selbst findet - als Künstler und als Mensch.
(Quelle: Hanser Verlag)


Hauskonzert.
Igor Levit.
Wer ist das? Warum lese ich ein Buch von und über Igor Levit?
Igor Levit ist einer der besten Pianisten unserer Zeit.
Daher war mir Igor Levit schon lange ein Begriff und auch eine Konzertkarte liegt im Kästchen mit den "der Pandemie zum Opfer gefallenen Konzerten".
Igor Levit als Mensch? 
Als Persönlichkeit war er mir allerdings kein Begriff. Es gibt so viele begabte, berühmte oder präsente "Stars", ich kann mich nicht mit allen beschäftigen ...
Aber dann kam die Pandemie, der Fokus wurde kleiner, und Nähe im persönlichen Bereich wurde ersetzt durch Nähe im unpersönlichen.
In dieser Zeit wurde Igor Levit als Persönlichkeit für mich präsent.
Mehr oder weniger über Umwege, ich folge Karl Lauterbach auf Twitter und zu Beginn des ersten Lockdown lieferten sich Levit und Lauterbach kleine Schlagabtausche auf Twitter. Lauterbach hat damals von "Coronagegnern" viel einstecken müssen, doch was ich dann an Anfeindungen auf Levits Account sah, war abgründig, unterirdisch und unaussprechlich.
Levit begeisterte damals mit seinen wunderbaren Hauskonzerten, auf Twitter gestreamt, tausende von Menschen, die nach Kultur hungernd im Lockdown saßen.
Levit schien danach zu hungern seine Kunst zu leben, die Zuschauer hungernden danach Kunst zu erleben.
Ich war einer von ihnen.
In den folgenden 12 Monaten blieb ich Levits Follower und erlebte als "Zuschauer" ein wenig von dem mit, was Zinnecker in "Hauskonzert" berichtet.

Hauskonzert ist keine klassische Biografie, in der von Geburt bis zum Jetzt, an einem roten Faden, ein Leben erzählt, beschrieben wird.
Die Stationen sind nicht chronologisch, sie passieren einfach. So springt das Buch durch Zeiten und Orte, durch Gedanken, Realitäten und Erinnerungen.
In einem Augenblick fährt man gemeinsam mit dem Zug durch Deutschland, um sich dann wenige Momente später in der musikalischen Früherziehung eines Kleinkindes wieder zu finden.
Das Buch springt zwischen Gedanken und Erinnerungen so wie es auch in den Köpfen der Leser passiert, wenn sie ihre Gedanken frei schweifen lassen.
Von daher sind die Sprünge nicht schwer nachzuvollziehen, sie haben in der Struktur vielmehr etwas sehr vertrautes.
Aber "Hauskonzert" dreht sich nicht nur um Erinnerungen und vergangene Lebensabschnitte, sondern auch um Levits Hauskonzerte auf Twitter und die Zeit, die diese Hauskonzerte erst möglich machte.
Ich persönlich habe die Zeit des ersten Lockdown nicht nur als finstere, gelähmte Zeit erfahren, sondern tatsächlich auch als Zeit der Veränderung und neuen Kreativität.
Diese Wahrnehmung habe ich auch bei Künstlern gefunden, auf jeden Fall auch bei Igor Levit.
In seiner Kommunikation auf Twitter habe ich gemerkt, dass ich sich etwas verändert.
In "Hauskonzert" konnte ich nachlesen, dass sich wirklich etwas veränderte und auch was.
"Hauskonzert" bringt dem Leser den Menschen Igor Levit näher, aber nicht nur den Menschen, sondern auch das was Menschen wie Igor Levit in unserer Gesellschaft passiert.
Also
- begabten Menschen.
- berühmten Menschen.
- Menschen mit Migrationshintergrund.
- Menschen mit verschiedenen kulturellen Wurzeln.
- Menschen mit unterschiedlichen Religionen

Menschen also, die durch irgendetwas isoliert, herausgehoben werden.
Dabei ist es egal ob es viele oder wenige Menschen sind, die sich das Recht herausnehmen, jemanden zu isolieren, zu stigmatisieren oder zu verurteilen, zu beschimpfen und mit Hass zu überschütten, weil dieser Jemand nicht christlich getauft ist oder außerhalb von Deutschland geboren wurde.
Es ist egal ob es viele oder wenige sind, es zählt, dass es passiert. Das es passiert, in den Kommentarspalten eines sozialen Netzwerkes oder auf dem Heimweg. Das es passiert und toleriert wird.
In "Hauskonzert" wird dem Leser gezeigt, was dies mit einem Menschen macht.
Nein, Igor Levit jammert nicht, zeigt sich auch nicht als wehrloses Opfer.
Er zeigt was passiert. Er zeigt das Antisemitismus und Rassismus passieren. Antisemitismus und Rassismus passieren im Alltag und außerhalb des Alltags, in Kommentarspalten und im persönlichen Kontakt.
Er zeigt aber auch, dass dies nicht nur ihn etwas angeht, sondern Rassismus und Antisemitismus gehen uns alle an.

Ich bin "Hauskonzert" für vieles dankbar.
Dankbar dafür, dass ich einen kleinen Blick auf den Menschen Igor Levit werfen konnte, dankbar dafür, dass Levit ausspricht, mit welchen Abgründen unserer Gesellschaft er konfrontiert wird, dankbar dafür, dass er es nicht schweigend hinnimmt, dankbar dafür, dass er uns nicht nur die Melodien großer Komponisten zeigt, sondern auch ein wenig seine eigene Melodie.